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Digitalisierung als Bindeglied und Chance.

Zwei Tage lang diskutierten ExpertInnen mit VertreterInnen der Stadt, der Digitalwirtschaft und der Wissenschaft mit einem Ziel: In welchem Verhältnis stehen Digitalisierung und Nachhaltigkeit im ökologischen Sinn? Ein reger Austausch mit der Community, die online und vor Ort am Erste Campus teilnahm, und eine intensive Beteiligung von SchülerInnen bildeten den Rahmen der Erkenntnisreise.

Hier das Ergebnis:

Die Digitalisierung muss heute in einer Zweipoligkeit verstanden werden, sie hat einen Doppelcharakter in Bezug auf die Nachhaltigkeit: zuerst zum Negativen: Digitale Geräte und Dienstleistungen verbrauchen zur Zeit zu viele Rohstoffe und zu viel Energie. So fasst unser Speaker Felix Sühlmann-Faul die Studien zusammen: Digitales bedingt heute 10% unseres globalen Stromverbrauchs und CO2-Ausstoß. Bis 2025 wird diese Zahl auf 20% steigen. Am Beispiel eines digitalen Hubs wie der Stadt Frankfurt sehen wir: Die dortigen Rechenzentren verbrauchen 60% mehr Energie als die sonstige städtische Infrastruktur.

Die andere, positive Seite der Digitalisierung: Auf den Digital Days wurde außer Streit gestellt, dass nur mit einem massiven und zielorientierten Einsatz der digitalen Möglichkeiten die Erreichung unserer Klimaschutzziele überhaupt möglich sein wird. Seien es Gebäudeeffizienz, Mobilitätssteuerung oder die Ökologisierung der Produktions- und Logistikketten: Ohne digitale Intelligenzen, ausgefeilte Sensorik und Lernen aus den Daten werden wir den Klimawandel nicht aufhalten. Digitale Lösungen können auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit unterstützen. Was wir dafür brauchen: eine neue Kompetenz: Die digitale Nachhaltigkeitskompetenz und die Bereitschaft zum sofortigen Handeln auf persönlicher und auf gesellschaftlicher Ebene.

Als Teil des ModeratorInnen-Teams gemeinsam mit der Urban Innovation Vienna und der DigitalCity.Wien dürfen wir Ihnen die Liste der Denkanstöße präsentieren und bitten um Ihre weitere Mithilfe: Diese Liste ist nie fertig und nie perfekt – aber ganz nach der Aussage der Digital-Days-Panelistin Magdalena Wallis: “Plant nicht ewig das perfekte Verhalten für die Nachhaltigkeit, sondern setzt heute erste Taten!”

Die Liste an Denkanstößen fürs Handeln ordnet sich in einen persönlichen Bereich, wo jede von uns sofort tätig werden kann, in einen für Unternehmen und in einen gesellschaftlichen Bereich.

Persönliche Handlungsebene:

  • Bei jeder Online-Kaufentscheidung die Auswirkung auf die Transportlogistik mitdenken und Retoursendungen minimieren. Generell in weniger, aber dafür in möglichst hochwertige Produkte mit langer Lebensdauer investieren
  • Lange Verwendung von Elektronikgeräten und digitaler Hardware. Update und Reparatur statt Neuanschaffung
  • Bevorzugung von Secondhand Elektronik, zum Beispiel bei refurbed.at, oder fair hergestellter Telefone bei fairphone.com
  • Bevorzugung von Miete von Endgeräten statt Kauf: zum Beispiel bei grover.de.
  • Sowohl bei Miete als auch bei Kauf immer auf die Energieeffizienz der Geräte achten
  • Statt langer E-Mail-Dialoge einfach mal bei der KollegenIn im Büro nebenan persönlich vorbeischauen
  • Geräte am Ende ihrer Lebensdauer fachgerecht entsorgen, insbesondere Batterienrecycling beachten
  • Immer die Frage stellen: Brauche ich die Anwendung (Software, digitale Plattform) wirklich? Nur notwendige und sparsame Verwendung von digitalen Diensten, zum Beispiel die Reduktion auf eine Musikplattform, statt sich auf vier anzumelden, oder einfach mal ein Katzenfoto weniger posten
  • Klimafreundliche Suchmaschinen verwenden, zum Beispiel ecosia.org
  • Nachhaltige Investmentformen bevorzugen und aus fossilen Brennstoffen deinvestieren. In klimaschutzrelevante Technologien investieren, zum Beispiel in Kohlenstoffabscheidung (Carbon Capture). Die Energiewende ist eine Finanzierungswende
  • Die eigene Einstellung zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Familie, im Freundeskreis und unter KollegInnen zum Thema machen und BotschafterIn der digitalen Nachhaltigkeitskompetenz werden

Handlungsebene für Unternehmen:

  • Jede Form der Verkehrsvermeidung, zum Beispiel durch Nutzung von Videokonferenzen. Dort bewusst die Videoübertragung minimieren, zum Beispiel in dem nur jene teilnehmen, die tatsächlich dabei sein müssen.
  • Beim Server-Hosting nachhaltige Anbieter wählen und auf Energieeffizienz setzen
  • Ökologische Auswirkungen der Digitalisierung sichtbar und begreifbar machen, im Positiven wie im Negativen, zum Beispiel in Nachhaltigkeitstracking-Apps
  • CO2-Emissionen tracken und analysieren. Wo Emissionen beziehungsweise Energieverbrauch nicht weiter reduziert werden können (und nur dort!), verbleibende Emissionen kompensieren, zum Beispiel mit myclimate.org
  • Dezentrale Lagerstruktur und digitale Logistiksteuerung für weniger globale Abhängigkeit und Reduktion von Transportbelastung der Umwelt

Handlungsebnen für uns als Stadt, Staat, Gesellschaft und Wirtschaft:

  • Alle Zielgruppen in der Bevölkerung mitnehmen: mehr Unterricht und Information in “Digitaler Nachhaltigkeitskompetenz”
  • Gebäudeeffizienz bei Bau und Betrieb durch digitale Tools als einen der größten Nachhaltigkeitshebel verstehen
  • Die Stadt und der Staat darf und soll mehr Gestaltungsrolle in der Harmonisierung der multimodalen Mobilität einnehmen, um einheitliche digitale Services zu ermöglichen und öffentlichen Verkehrsmix so einfach wie möglich zu machen
  • Digitale Suffizienz: Abschaltbare, langlebige Sensoren und Geräte in der Stadt verwenden. Nur in Gegenwart von Menschen wird Energie verbraucht
  • Tech for Green: Bestehende Technologien für Nachhaltigkeit einsetzen: zum Beispiel Drohnen für reduzierten Spritzmitteleinsatz in der Landwirtschaft und Waldbrandvermeidung einsetzen
  • Mechanische oder softwaretechnische Sollbruchstellen (künstliche Verkürzung der Lebensdauer – geplante Obsoleszenz) verbieten
  • Künstliche Intelligenz in der Effizienz der Stromnetzsteuerung vermehrt einsetzen
  • Technologieeinsatz nur bei gesamtheitlichem Mehrwert (“Total Cost of Digital” –  Kostenwahrheit zeigen) tätigen, nicht aus einem singulären, kommerziellen Nutzen
  • Datenkompression und Datentransferminimierung fördern
  • Vermehrt Rechenzentrumsabwärme nutzen und grüne Rechenzentren fördern

Ihr Martin Giesswein

martin@what-matters.at

Diese Listen werden gemeinsam mit Alice Schmidt kuratiert.

Alice ist Denkerin und Macherin mit Weltverbesserungsanspruch. Als Co-Autorin von „The Sustainability Puzzle“ hat sie globale Nachhaltigkeitsthemen wie Kreislaufwirtschaft, Klimaschutz, sozialen Wandel und verantwortungsvolles Wirtschaften immer im Blick. Sie berät Unternehmen, Regierungen und NGOs zum Thema Nachhaltigkeit an der Schnittstelle zwischen Umwelt, Gesundheit und sozialer Entwicklung. Sie hat in mehr als 30 Ländern mit über 60 Organisationen gearbeitet, von den Vereinten Nationen, der Weltbank und der Europäischen Kommission bis zu Multinationals und NPOs aller Größenordnungen. Alice unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist MIT-Klimabotschafterin.

In meiner aktuellen Podcast-Folge gehe ich detaillierter auf die wichtigsten Themen bei den Digital Days ein: